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Gedächtnisverlust bei weiblichen Leistungen

Patriarchale Strukturen gibt es seit Tausenden von Jahren. Ein Wesenselement dieser Strukturen ist das Vergessen. Das Vergessen von weiblichen Leistungen ist ein wiederkehrendes Merkmal. Zwei aktuelle Ausstellungen in Berlin zeigen das Vergessene.

„läuft“ Ausstellung zur Menstruation

Das Museum Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem zeigt eine abwechslungsreiche und informative Ausstellung zur Geschichte des praktischen Umgangs mit der Menstruation. Die Ausstellung entwickelt ihre Themen entlang einer Zeitleiste ab 1880. Verschiedenen Menstruationsartikel der letzten 140 Jahre werden beschrieben. Es werden Kleidungsstücke gezeigt, mit deren Hilfe diese Tage  bewältigt wurden vor der Zeit der Unsichtbarkeit der Einmalartikel. Es gibt die Möglichkeit, diese Kleidungsstücke anzuziehen und das Körpergefühl zu erfahren, das die teilweise voluminösen Kleidungsstücke vermitteln.  Und Bilder der Enttabuisierung  der Menstruation werden gezeigt:  Eine professionelle Langstreckenläuferin zeigt das zwischen den Beinen sichtbare Blut während der Siegerinnenehrung.

Bewegung der Selbsthilfegruppen vergessen?

Menstruation und menstruieren hat viel mit Tabuisierung zu tun. Schweigen und Stigmatisierung hat in allen Gesellschaften immer zu diesem körperlichen Vorgang von 2 Milliarden Menschen gehört. Unwissen über die eigenen körperlichen Vorgänge blieb im Unsichtbaren.  Erstaunlicherweise wird in der Ausstellung kein Bezug genommen zur Frauenbewegung mit ihren Selbsthilfegruppen der 70-iger Jahre des letzten Jahrhunderts.  Die damals entstehenden Selbsthilfegruppen mussten erst einmal die Scham überwinden, über ihren Körper und seine Funktion zu sprechen. Frauen fanden zusammen, um über ihre Körper zu lernen. Sexualkundeunterricht gab es kaum. Häusliche  oder familiäre Aufklärung über den weiblichen Körper war oft mangelhaft bis nicht vorhanden. Frauen in Selbsthilfegruppen erwarben das Wissen über den eigenen Körper in Selbstuntersuchungen und durch weitergereichte Broschüren, Hefte und Bücher, die sich bewusst gegen die Herrschaftsmedizin stellten. Sie informierten sich gegenseitig  über die Gebrauchsartikel, die es gab. Schwämme und Tassen wurden entdeckt, teilweise wiederentdeckt. Die verschiedenen Anwendungsangebote von Tampons mussten gelernt werden.

Die Ausstellung vermitteln den Eindruck, als würden Frauen (und Männer?) schon immer unbefangen über Menstruation reden. Nein, das war definitiv nicht so. Schon 40 bis 50 Jahre nach der autonomen Frauenbewegung, die auch ein Rückeroberung des Wissens über den eigenen Körper war, zumindest in der westlichen Welt, scheint diese Selbsthilfebewegung der Frauen, mal wieder, vergessen zu sein.

Ausstellung „Gemeinsam sind wir unerträgllich“

Auf dem Weg zu dieser Ausstellung kommt man zunächst in den Innenhof des Ministeriums für Staatssicherheit, wo man eine vielmetrige Ausstellung der Robert-Havemann-Gesellschaft unter freiem Himmel sehen kann. Diese Ausstellung  „Revolution und Mauerfall“ über die friedliche Revolution der DDR zeigt viele Protagonisten als Einzelpersonen, in kleinen Gruppen und auf Kundgebungen.  Protagonistinnen konnte ich nicht entdecken. Lag es am kalt tropfenden, trüben Himmel, der mich die Frauen der friedlichen Revolution übersehen ließ? Bei genauem Hinsehen sah ich immerhin „Mit-läuferinnen“ in den Demonstrationen.

Zur Entschädigung konnte man bis zum 11. Februar 2024 in das Haus 7 des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gehen und sich die Posterausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich“ ansehen. Diese abwechslungsreiche auf großen Postern und Schautafeln konzipierte Ausstellung zeigt den Weg vom Privaten zum Poltischen. Frauen trafen sich zunächst privat und dezentral an vielen Orten der DDR. Es gab Selbsterfahrungsgruppen,  Frauengruppen für den Frieden und solche, die sich gegen Umweltzerstörung einsetzten,  lesbische Gruppen, Gruppen, die sich mit feministischer Theologie und Gewalt gegen Frauen, beschäftigten. Frauen vernetzten sich. Zahlreiche Dokumente sind zu sehen, die im Eigenverlag erschienen. Flugblätter sind abgebildet. Die Kirche half, eine Infrastruktur aufzubauen mit Räumen, Papier, Druckern, Kopiergeräten. Und im Dezember 1989 gründeten 60 Frauengruppen den unabhängigen Frauenverband, den UFV. Es erschien das Manifest für eine autonome Frauenbewegung „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“, verfasst von Ina Merkel, heute emeritierte Kulturwissenschafterin der Universität Marburg. Der UFV kandidierte im März 1990 bei den Volkskammerwahlen. Die UFV konnte zusammen mit dem Wahlbündnis der grünen Partei der DDR  den Anspruch, die Interessen aller Frauen parlamentarisch zu vertreten nicht umsetzen. Der Versuch sich mit westdeutschen Frauen zu verbünden scheiterte.

Die Posterausstellung ist sehr abwechslungsreich. Viele Dokumente, Slogans und Inhalte erinnern sehr an die westdeutsche Frauenbewegung.  Das Private ist politisch lässt sich für die Bewegungen in beiden deutschen Staaten nachvollziehen.

Erinnerungskultur für Feminismus

Die  große Ausstellung  der Robert-Havemann-Gesellschaft ohne Raum für weibliche Leistung, die beengten Räumlichkeiten der sehr guten Ausstellung zur Geschichte der Frauenbewegung der DDR, das Nichtdarstellen der autonomen Frauenbewegung in der Ausstellung zur Menstruation zeigen den Gedächtnisverlust, der sich sehr schnell einstellt, wenn es um Leistungen und Selbstermächtigung von Frauen geht. Und doch gibt es heute weltweit Aufmerksamkeit erregende Bewegungen wie die Me-Too Bewegung, die nun wirklich ein Prototyp des „Das Private ist politisch“ ist oder die „One Billion rising“ Bewegung, in der Frauen aktuell auf die Straße gehen und sich gegen patriarchale Übergriffe wehren.

Überwindung der Amnesie und Vernetzung

Ein neuer Versuch der Aufarbeitung der Ost- und Westfrauenbewegungen zur Überwindung der Amnesie unserer Geschichte wäre ein wichtiges Ziel. Im Osten wurden nichtstaatliche Organisationen misstrauisch beobachtet, inoffizielle Mitarbeiterinnen eingeschleust, um die autonomen Frauengruppen zu zersetzen. Manche Gruppen lösten sich daraufhin auf, was Ziel der Staatssicherheit war. Im Westen wurde die Frauenbewegung in staatlichen Organisationen, Universitäten, Gewerkschaften und im Parlament verhöhnt und nicht ernst genommen. Jedes Patriarchat hat seine eigenen Unterdrückungsmethoden. Die Methode der Gedächtnisstörung, des Erinnerungsverlustes haben alle Formen der Patriarchate. Diese  zerstörerischen Methoden beschädigen das Gedächtnis der Frauenbewegungen und den Stolz auf das Geleistete. Die Erinnerungskultur, von der allenthalben die Rede ist, muss auch für die Leistungen der Frauenbewegungen gelten.

Die Wanderausstellung war bis zum 11. Februar 2024 auf dem ehemaligen Gelände des Ministeriums für Staatssicherheit zu sehen. Sie ist spannend und sehr empfehlenswert. Es sollte ihr jedoch mehr Quadratmeter eingeräumt werden als sie in den ehemaligen MfS Räumen hatte. Der Ausstellungskatalog erzeugt zumindest bei altgedienten Feministinnen viele Aha-Erlebnisse.

CATHERINA STAUCH

PHOTO CATHERINA STAUCH

Die Ausstellung zur Menstruation „läuft“ vom 06.Oktober 2023 bis 06. Oktober 2024

Agentur für Bildung, Geschichte und Politik e.V.: Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich“ – Ausstellungskatalog ISBN 978-3-96311-872-2, 20 €uro