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Pluriversum – viele Welten

Das ist ja wie früher, dachte ich, als ich die Ankündigung auf den kleinen Plakate an den Supermarkttüren sah: Menschenrechtsgruppen, Umweltgruppen und lateinamerikanische Musik, zusammen auftretend bei einer Veranstaltung auf dem Fachhochschulgelände der Stadt Kleve/ NRW. Ich fühlte mich zurückversetzt in meine Zeit als Studentin. Das Leben war verheißungsvoll und bunt, vielfältig und anziehend. In den 70-iger und 80-ziger Jahren waren die Menschen in vielen neuen Räumen aktiv: in Selbsthilfegruppen, in den Wohngemeinschaften, auf Demonstrationen, bei Stadtteilfesten, in alternativen, kollektiven Buchhandlungen. So zumindest meine Erinnerung an die postschulischen Welten.  Ein gewisses Kribbeln erfasste mich, und ich radelte am 27. April in die Klever Hochschule.

Vor dem Hörsaal

Empfangen wurde man schon im Vorraum des Hörsaales durch warme arabische Lautenklänge. Amnesty international, Fridays for future, Eine-Welt-Laden und andere hatten ihre Stände aufgebaut. Viele Menschen waren im regen Gespräch. Smartphone gelenkte Köpfe sah ich kaum.

Veranstalter war Haus Mifgash aus Kleve, die Initiativgruppe, die sich seit Jahren für ein Begegnungszentrum auf dem Boden der ehemaligen Klever Synagoge einsetzt. Haus Mifgash hatte mit Unterstützung der Hochschule Rhein-Waal grupo sal, die lateinamerikanische Musikgruppe mit ihrem Programm „Pluriversum“ eingeladen.

In dem Hörsaal

Die Journalistin Sandra Maiss führte durch die Veranstaltung. Ihr erster Interviewpartner war Alberto Acosta, Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Energieminister aus Ecuador. Er führte aus, dass die Welt eine neue Seinsform benötigt. „Wir benötigen eine neue Ontologie, in der alles mit allem zusammengedacht wird. Ein gutes Leben für alle muss das Ziel sein. Nicht nur Rechte für Menschen brauchen wir, sondern auch der Natur müssen Rechte gegeben werden.“ In einer Liveschaltung nach Australien sprach die Ökofeministin Ariel Saleh. Salehs politischer Aktivismus begann in den 70-iger Jahren mit dem Protest gegen den Uranabbau auf indigenem Boden in Australien. Die Soziologin erklärte das Patriarchat, den Kapitalismus, den Kommunismus und den Kolonialismus für gescheitert. Diese Gesellschaftsformen basierten auf der Ausbeutung von Menschen und Natur. In ihrer Analyse werden Natur und Frauen als Ressource benutzt, die zur Produktion erforderlich sind. Dies hat uns in die heutige Krise des Klimas und der Menschenrechte mit den negativen Folgen für die Demokratien geführt hat. Sie forderte einen Paradigmenwechsel weg vom Prinzip der Produktion hin zum Prinzip der Reproduktion. Das Prinzip der Produktion basiere auf Ausbeutung von Ressourcen ohne Wiederherstellung dieser, das Prinzip der Reproduktion auf Schonung und Wiederherstellung von Ressourcen. „Cultural shifting“ nannte die Wissenschaftlerin diesen Prozess.

Universum versus Pluriversum

Eine übersetzerische Annäherung der Begriffe Universum und Pluriversum könnte sein:  Eine Welt und Viele Welten. Schon die formale Übersetzung lädt zum Nachdenken ein. Pluriversum als politischer Begriff, auch niedergelegt im demnächst erscheinenden Lexikon „Pluriversum“, ist als Vielfalt von sinnvollen Lebensformen weg von Ausbeutung der Ressource Menschen und Natur gemeint. Der dritte Begriff Metaversum-Zwischenwelt existiert auch und könnte Zwischenwelt genannt werden. Allerdings ist dieser Begriff bereits besetzt. Er meint laut Wikipedia, dass durch virtuelle Welten eine neue Wirklichkeit entstehen soll.

Pluriversal war das Event. Die Multimedia Veranstaltung bestand aus Musik von grupo sal, einer Videoinstallation mit 16 Bildschirmen, auf denen lebendige Farbkombinationen mit pluriversalen Begriffen kombiniert wurden, einem Präsenzinterview, einem online Interview und der Präsentation von etlichen Initiativen. Es war eine inspirierende Vielwelten-Darbietung auf dem Boden der Fachhochschule Kleve. CATHERINA STAUCH

PHOTO Catherina Stauch

Demnächst erscheint „PLURIVERSUM Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“, ca. 450 Seiten ISBN 978-3-945959-67-1