Demokratie braucht Gemeinsinn

Die Pandemie hat es uns vor Augen geführt. Wir Menschen können nicht ohne einander. Es reicht nicht, sich nur um sich selbst zu kümmern im Alltag: durch Geld verdienen, durch Versorgen unserer Körper, durch Versorgen unserer Mitmenschen. Uns Menschen reichen diese Mikrokosmen nicht aus. Wir Menschen brauchen mehr. Wir brauchen etwas außerhalb unserer vier Wände.

Wo zeigt sich das?

Es zeigt sich in Vereinen, in Bürgerinitiativen, in Selbsthilfegruppen, in Nachbarschaftshilfen, im Ehrenamt, in Gesprächskreisen, in Erzählcafes, in Quartiersgemeinschaften, in Sportvereinen, bei der freiwilligen Feuerwehr.

Was tun wir Menschen in diesen Initiativen?

Warum nutzen wir unsere Freizeit, um uns auf diese Weise zu engagieren? Wir leben unseren sechsten Sinn. Es ist unser Gemeinsinn. Das Ehepaar Aleida und Jan Assmann, Trägerinnen des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2018, haben sich mit dem Gemeinsinn beschäftigt. Der Gemeinsinn sei unser 6. Sinn, und dies sei bekannt seit Hunderten von Jahren. Unser Gemeinsinn ist nicht zu verwechseln mit dem Gemeinwohl, das ist Aufgabe des Staates, das Gemeinwohl zu organisieren. Zum Beispiel Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Gemeinsinn wird gemeinsam mit anderen Menschen entwickelt. Gemeinsinn ist etwas Individuelles, eine Fähigkeit, die wir Menschen alle als Individuen haben. Diese Fähigkeit wenden wir an und trainieren wir in unseren Initiativen. Im Haus Mifgash beispielsweise, gibt es Begegnungsprojekte wie das Frauencafe, die Deutschkurse, die Stolpersteingruppe, grenzüberschreitende Projekte. Für die Organisation und Ideenentwicklung ist der Gemeinsinn notwendig. Die Assmanns sagen: Der Gemeinsinn existiert nur praktisch, man kann ihn nicht wählen. Der Gemeinsinn ist kleinteilig, er existiert nur „face to face“. Diese Art des gemeinsamen Arbeitens in unseren vielen Initiativen und Vereinen des Kreis Kleve ist uns Menschen ein Bedürfnis. Wir opfern nicht unsere Freizeit, sondern es ist uns ein Bedürfnis, diesen Tätigkeiten nachzugehen. Wir wollen diesen Gemeinsinn leben.

Was haben wir davon?

Wir begegnen hierbei Menschen, die ähnlich ticken wie wir. Das schafft Sicherheit und Konsens über Basiseigenschaften unserer demokratischen Gesellschaft. Es schafft Solidarität und schützt vor Sprachlosigkeit. Es schützt vor Faschismus durch Resilienz gegen Einsamkeit und Ausgrenzung. In der Einsamkeit wird man anfällig für sinnlosen Konsum und leere Parolen. Die Basis der Demokratie ist für mich das gewaltfreie Miteinander. Während ich meinen 6. Sinn, meinen Gemeinsinn auslebe, erfahre ich unendliche viele Facetten über mich und meine Mitmenschen. Ich erfahre sehr viel darüber, wie wir Menschen zusammenleben, wie andere gesellschaftliche Ethnien zusammenleben. Das gewaltfreie Miteinander ist die Basis der Demokratie. Ich persönlich möchte auch weiterhin sagen können, dass ich gerne Europäerin bin, dass ich gerne Demokratin in Deutschland bin und dass ich gerne eine engagierte Kreis Kleverin bin, die ihren Gemeinsinn ausleben darf. Wenn wir an nichtdemokratische Gesellschaften denken, wissen wir, dass zur Auslebung unsere Gemeinsinnes eine demokratische Gesellschaft nötig ist. Dies geschieht regional und für uns ist das der Kreis Kleve mit seinen Einwohnerinnen und Einwohnern.

Nach Aleida Assmann „die resiliente Demokratie braucht kein Feindbild, aber einen starken Sinn für das, was Menschen miteinander verbindet und zusammenhält“. Unsere vielen, auch multikulturelle nInitiativen im Kreis Kleve halten uns zusammen. Wir werden wählen gehen, weil wir für Demokratie sind, wir wissen wofür wir wählen gehen.

Der Text wurde bei den Demonstrationen gegen rechts in Emmerich am 08. Februar und am 9. Februar 2025 in Kleve von mir für Haus Mifgash vorgetragen. Bundestagswahlen werden am 23. Februar 2025 sein.

CATHERINA STAUCH

Zum Weiterlesen:

Aleida Assmann, Jan Assmann: GEMEINSINN – Der sechste, soziale Sinn im C.H.Beck Verlag 9783 406 82186 8

FUTUR ZWEI – MAGAZIN FÜR ZUKUNFT UND POLITIK : GEMEINSINN, N°31, 2025, www.tazfuturzwei.de

www.mifgash.de