Einzelkämpfertum in den Behörden überwinden

Der Film „Akte Integration“ von Souad Lamroubal, bereits bekannt durch ihr überaus humorvoll und ironisch geschriebenes Buch „Yallah Deutschland, wir müssen reden!“ hatte am 5. Juni über 30 Personen in die Volkshochschule Kleve gezogen. Professor Andreas Zick, Sozialpsychologe an der Universität Bielefeld, führte in die Konzepte der Akkulturation in der Migrationsforschung ein. Die Integration sei in Deutschland häufig sehr gut gelungen. Jedoch reiche dies nicht aus.  Neben der gesellschaftlichen Teilhabe müsse eine kulturelle Anerkennung von immigrierten Menschen stattfinden.

Die Welt stand still

Der Film zeigte Beispiele der Auswirkung der Gesetze auf Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben. Die gesetzlichen Formalitäten der Einbürgerung sind häufig absurd. So hielt ein Mensch nach 15 Jahren in Deutschland,  plötzlich ein Schriftstück in der Hand, das ihm mitteilte, dass er abgeschoben werde. Obwohl er einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachging und  mit der Mutter seiner Kinder zusammenlebte, sollte er das Land verlassen. Infolge dieser Benachrichtigung musste er seinen Arbeitgeber benachrichtigen. Die Welt stand still für die Familie.  Mit der Heirat wurde zwar sein Aufenthalt formal legal. Allerdings verlangte die Behörde, dass der Betroffene  aus- und wieder einreisen solle, um so einen korrekten legalen Status zu erhalten. Die Familie hatte Angst, nicht wieder einreisen zu dürfen. Sie verlangte von der Ausländerbehörde eine Vorabzustimmung, um wieder in die BRD einreisen zu dürfen. Die bereits in der BRD verbrachten Jahre wurden hierdurch auf dem Papier annulliert.

Das BAMF braucht Aufsicht

In der Diskussion zeigte sich, dass viele TeilnehmerInnen der Veranstaltung in der behördlichen Flüchtlingsarbeit tätig waren. Unzählige Begriffe aus der Bürokratie fielen: Ausbildungsduldung bei unbegleiteten Jugendlichen, Identitätsklärung, Passersatzpapiere, Fiktionsbescheinigung, Versagung. Es gab etliche Beschreibungen über behördliche Untätigkeiten. Zuständigkeiten seien oft unklar. Die Versuche der Kontaktaufnahme mit anderen Behörden könnten häufig nur noch als staatliche Verweigerung beschrieben werden. Professor Zick forderte eine Kontrolle des Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Diese Institution funktioniere nicht. Sie müsse unter eine staatliche Aufsicht gestellt werden, forderte er.

Es ist was Neues da

Die Veranstaltung legte offen, dass das behördliche Zusammenspiel in Deutschland schlecht ist. Hoch motivierte MitarbeiterInnen könnten sich als EinzelkämpferInnen häufig nicht durchsetzen. Andererseits sei, laut Professor Zick, das Angebot für ImmigrantInnen gut. Allerdings seien die Potentiale der Einwanderung für die deutsche Gesellschaft insgesamt nicht klar. Er forderte, dass Scouts durch das Land reisen sollten und  dass die Potentiale der Einwanderung untersucht und quantifiziert werden sollten. Souad Lamroubal, selber Kommunalbeamtin, beschrieb die Situation in Deutschland so: „Es ist was Neues da. Und diese Vielfalt braucht Würdigung auf vielen Ebenen“.

Die Empfehlungen der Regisseurin und des Wissenschaftlers waren:

1. Das Einzelkämpfertum in den Behörden muss überwunden werden. Begegnungsräume sollten geschaffen  werden für und von Menschen, die sich mit behördlichen Zumutungen tagtäglich beschäftigen.

2. Es müsse eine Vernetzung mit der Gesellschaft erfolgen.

3. Biografiearbeit sollte verstärkt in den Fokus der Gesellschaft kommen, um Verständnis in den Prozessen der Akkulturation zu schaffen.

4. Zudem wurde sehr konkret empfohlen, Härtefälle in den Petitionsausschuss des Landtages zu geben und Untätigkeitsklagen gegen die Behörden in Betracht zu ziehen.

5. Scouts sollten durch das Land ziehen und die ungenutzten Ressourcen der immigrierten Menschen evaluieren.

Der Titel des Films „Akte Integration“ zeigt es deutlich: Es geht um behördliche und zivilgesellschaftliche Vorgänge. Es war eine Veranstaltung, die nach zwei weiteren Veranstaltungen rief: eine Veranstaltung sollte den behördlichen Wirrwarr darlegen sowie die nicht funktionierenden Schnittstellen zwischen den Behörden transparent machen. Zum anderen sollten die sozialpsychologischen Folgen für die gesamte Gesellschaft in einer weiteren Veranstaltung gezeigt werden, insbesondere mit Fokus auf die Medien.

CATHERINA STAUCH

Photo mit Genehmigung von Souad Lamroubal und Andreas Zick

Zum Weiterlesen:

Souad Lamroubal: Yallah Deutschland, wir müssen reden! ISBN 978-3-8012-0636-9 beim Dietz Verlag

Professor Andreas Zick, Leiter des Instituts für Gewalt- und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld

Die Veranstaltung wurde organisiert durch die Caritas (Kleve und Geldern) mit Unterstützung der vhs Kleve, der Integrationsagenturen NRW und dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein Westfalen.