Ansichten und Analysen – Alltag in Europa

Webinar “Wie Tech-Milliardäre unsere Demokratien zersetzen & was die EU tun kann”

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Der Verein Europe calling e.V. in seiner 212. webinar -Ausgabe am 13. Januar  präsentierte sich mit dem Thema: “Wie Tech-Milliardäre unsere Demokratien zersetzen & was die EU tun kann”. Alexandra Geese, Europa Abgeordnete der Grünen zeigte sich besorgt darüber, dass die Tech-Milliardäre mit ihren Plattformen die deutsche Bundestagswahl im Februar 2025 beeinflussen könnten. Sie befürchte einen digitalen Angriff auf Europa.Sie berichtete, dass sie vermehrt, insbesondere politisch rechte Nachrichten auf ihrer Timeline von X erhalte, von denen sie nicht wisse, woher sie kämen. Sie erhalte notifications auf ihrem Handy, die sie nicht angefordert hätte.

Es gibt einen Informationskrieg durch Diebstahl des Rohstoff  „private Daten“

Shoshana Zuboff ist die Autorin des Werks „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“, das 2019 zunächst auf Deutsch erschienen ist. Sie gab einen Überblick über den Weg des Diebstahls des Rohstoffes „private Daten“ seit den 90-ziger Jahren.  Sie beschrieb das Internet als ein Gefängnis, dem man nicht entkomme. Es sei ein Vakuum entstanden, das das Überleben der Demokratien fraglich erscheinen ließe. Der Überwachungskapitalismus desozialisiere die Gesellschaft. Mark Zuckerberg habe der Rechtsstaatlichkeit den Krieg erklärt, indem er das Faktenchecken aus facebook herausnehmen wolle (Ankündigung von Herrn Zuckerberg am 7. Januar 2025). Die Techmilliardäre hätten Angst vor der Demokratie. Privatunternehmen kontrollierten ein globales Experiment, sie führten einen Informationskrieg. Zuboff beurteilte die Gesetzgebung der Europäischen Union als gute Grundlage. Man müsse daran anknüpfen.

Max Beckedahl, Netzaktivist u.a. bei Netzpolitik.org und re:publica, beschreibt, wie der US-Konzern Meta eine selektive Meinungsfreiheit betreibe. Zum Beispiel werde der Account von Herr Zuckerberg auf X deutlich bevorteilt. Die Selektion der Daten führe dazu, dass Meta mehr Rassismus erlaube oder Frauen aus den Netzen rausekele. Die europäischen Behörden seien unterfinanziert, um diesen Angriffen die Stirn zu bieten. Die digitale Zivilgesellschaft würde nicht geschützt. Es fehle der politische Wille, den digitalen Feudalherren etwas entgegenzusetzen.

Die EU zögere bei der Überprüfung von Manipulation der NutzerInnen sowie der Inhalte

Jacob Hanke-Vela, Journalist, derzeit Leiter der Brüsseler Niederlassung des Handelsblatt, hat Zweifel, dass die EU die Kontrolle über die Techmilliardäre mit dem Digital services act erreichen wird. Die Untersuchungen der Europäischen Union hätten lediglich kleine Erfolge bei Tiktok oder käuflichen blue check markers erbracht. Die wirklich wichtigen Untersuchungen über illegale Inhalte und Manipulation von NutzerInnen seien bisher nicht veröffentlicht worden. Auch gäbe es für die Untersuchungen keine Fristen. Die Vergehen gegen den DSA würden nicht vor Gerichten verhandelt. Lediglich die Kommission könne Strafen verhängen. Hierdurch würden politischen Deals Tür und Tor geöffnet. Er zeichnete ein eher negatives Bild der Wirksamkeit des Digitalen Dienste Gesetz (digital services act).

Robin Berjon, ehemals tätig für die New York Times, jetzt u.a. Mitinitiator der Kampagne „free our feeds“ thematisierte die digitale Infrastruktur und die Monopolsituation der Milliardäre. Die Kennzeichen einer Infrastruktur seien die Größe und Zahl der NutzerInnen sowie die Kontrolle durch die Betreiber. Hierzu gehörten auch Browser und Suchmaschinen.  Ähnlich der Wasser- und Stromversorgung müsse die digitale Infrastruktur in rechtsstaatlicher Hand sein und dürfe nicht Oligarchen überlassen werden. Diese üben nicht nur Kontrolle über die Meinungsfreiheit sondern auch über die Märkte aus. Bei diesen Themen sehe er große Defizite in der europäischen Politik.

Bundestagswahlen schützen durch EU-Maßnahmen sowie durch individuelle Handlungen

Kurzfristig, forderte Alexandra Geese, könne die EU-Kommission die Beeinflussung der  Reichweiten auf den Plattformen einschränken. Menschen sollten dort nur das sehen, was sie sich ausgesucht hätten. Die Empfehlungssysteme könnten ausgeschaltet werden. Die Hochfrequenzaccounts sollten nicht durch Algorhythmen verstärkt werden dürfen. Die circuit breakers sollten angewandt werden. Das interaktionsbasierte Ranking muss gestoppt werden, um den Verstärkungseffekt von Hass und Hetze zu unterbinden. Max Beckedahl sagte, man müsse in Alternativen denken. Es gäbe keinen Grund bei den herkömmlichen Messengern oder sozialen Netzwerken zu bleiben (Anmerkung: bei www.opendemocracy.net findet sich ein Vergleich der Messengerdienste mit eindeutigem Ergebnis). Man könne zu dem vertrauenswürdigeren messenger Signal wechseln und zu dem sozialen Netzwerk Mastodon.

Die langfristige Verteidigung der Demokratie müsse auf gesetzlicher Grundlage geschehen. Die Gesetze in der Europäischen Union müssten so gut sein, dass die Überprüfung der Verletzung möglich ist und mit Fristen vor Gericht gebracht werden können. Die Nachweisbarkeit der Gesetzesübertretungen muss gegeben sein und Verstöße vor Gerichten entschieden werden. Die EU brauche technische Souveränität mit eigener, unabhängiger, digitaler Infrastruktur. Hierzu gehöre eine europäische Cloud und eigene Chipproduktionen. Dies sei unerlässlich zum Schutz der demokratischen, digitalen Zivilgesellschaft.

CATHERINA STAUCH

Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Verlag campus ISBN 978-3-593-50930-3

www.youtube.com: das webinar kann angesehen werden

www.freeourfeeds.com

www.berjon.com

Vergleich der Messengerdienste: www.opendemocracy.net

siehe auch wochentaz (25.-31.Januar 2025 Seite 37, Artikel von Christian Jakob

siehe auch FAZ vom 25. Januar 2025, Seite 17, Artikel von Corinna Budras

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