Allein der Titel des Artikels (FAZ 23. August 2024) von Jan Brachmann „Männerwelt unter Plagiatsverdacht“ ist so eindeutig, dass man es nicht glauben kann. Man kann es einfach nicht glauben, dass ein Journalist so eindeutig Position bezieht. Es geht um seit Jahrhunderten stattfindendem Diebstahl an geistigem Eigentum von Frauen. Auch heute ist diese deutliche Stellungnahme gegenüber der männlichen Einverleibung von weiblichen Leistungen nicht üblich. Sowohl mit dem Begriff „Männerwelt“ als auch dem Begriff „Plagiatsverdacht“ im Titel seines Artikels stellt der Journalist unverschleiert den Straftatbestand des Plagiats dar. Das ist selten in der patriarchalen Weltordnung.
Die Komponistin ist älter als Beethoven
Brachmann schreibt über das Klavierfestival „Raritäten der Klaviermusik in Husum (17. bis 24. August 2024). Mit dem Wort „Erschütterung“ beschreibt er die Ähnlichkeit der Musik der deutschen Romantiker zu der Musik der französischen Komponistin Helène de Montgeroult. Nur: die Komponistin (1764 -1836), ist deutlich älter als Beethoven (6 Jahre), Schubert (33 Jahre), Mendelssohn-Bartholdy (45 Jahre) und Chopin (46 Jahre). Allein aus diesen Zahlen ist der Plagiatsverdacht unumgänglich. Es ergibt sich hieraus die Notwendigkeit der Neuschreibung der Musikgeschichte in Bezug auf die deutsche Romantik und in Bezug auf die deutlich ältere Komponistin, schreibt Jan Brachmann. Die Geburtsjahre sind ein unbestechliches Argument für das Plagiat gegenüber der Ähnlichkeit der Musik zu der älteren, weiblichen französischen Komponistin.
Vergessen ist ein Machtmittel
Diebstahl an geistigem Eigentum ist heute ein Straftatbestand, der mit Freiheitsstrafen bis zu 3 Jahren belegt kann. Trotzdem werden diese Taten, begangen an weiblichen Leistungen auch heute noch oft bagatellisiert. Man spricht davon, dass es „andere Zeiten“ waren. Damit ist nicht nur das 18. und 19. Jahrhundert, sondern auch das 20. Jahrhundert gemeinst. Häufig werden weibliche Leistungen einfach vergessen. Geschlechtsspezifische Amnesie als Machtmittel wirkt. Sie beraubt Frauen ihres kulturellen Erbes mit der Folge des Verlustes ihres kulturellen Gedächtnisses. Vergessen ist ein Machtmittel von Siegern. „Vergessen“ ist ein „sanftes“ Mittel um kulturelles Erbe zu zerstören. Man merkt es nicht sofort, wenn die Namen der Frauen nicht mehr oder seltener erwähnt werden. Das „Vergessen“ ist wirkungsvoll wie das siegerhafte, militärisches Zerstören von Museen, Kirchen und Archiven und das Verbot von Sprachen. Die Sieger nehmen den Besiegten die kulturelle Identität. Ohne Vergangenheit kann niemand leben, sagt die Kulturwissenschafterin Aleida Assmann. Dies gilt auch für Frauen mit ihrer Geistesgeschichte.
Wir brauchen solche Klarstellungen und klare Stellungnahmen zum Thema Raub des geistigen Eigentums an Frauen wie Herr Brachmann sie geschrieben hat. Dieser Baustein trägt bei zur Korrektur und Rekonstruktion der weiblichen sowie männlichen Kulturgeschichte.
CATHERINA STAUCH
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